Überforderung

Viele Paare, die in der Schweiz ein Kind adoptierten, hatten sich zuvor für ein inländisches Kind interessiert. Die Vermittlungsstellen konnten ihren Wunsch jedoch oft nicht erfüllen.

In der Schweiz ging die Zahl der Kinder, die zur Adoption gegeben wurden, wie in anderen europäischen Ländern ab den 1970er-Jahren zurück. Um lange Wartefristen zu vermeiden, zogen manche Paare die Aufnahme eines Kinds aus dem globalen Süden in Betracht und entschieden sich für eine internationale Adoption. Dass dies an die zukünftigen Adoptiveltern spezifische Anforderungen stellte, wurde von einzelnen Vermittlungsstellen thematisiert. Der Verein Adoption International führte zum Beispiel Tagungen durch, an denen psychologisches und pädagogisches Wissen vermittelt wurde.[FN1 StABE BB 03.4.686, Schreiben von Adoption International an Jugendamt des Kantons Bern, 3.4.1984.] Zugleich zweifelte die Vermittlungsstelle aber daran, ob diese Veranstaltungen wirksam waren: «Es dürfte äussert schwierig sein, prophylaktisch zu arbeiten, damit die künftigen Adoptiveltern auf ihre grosse Arbeit vorbereitet sind. Die idealen Wunschvorstellungen überlagern meist mögliche Warnsignale.»[FN2 StABE BB 03.4.686, Jahresbericht 1984 von Adoption International.]

Die Untersuchung von Adoptionen aus Indien in den Kantonen Zürich und Thurgau zeigt, gestützt auf 13 Interviews mit Adoptiveltern, dass diese sehr schlecht auf eine Adoption vorbereitet waren. Während in Indien und in der Schweiz Gesetze und Regelungen erlassen wurden, um das Band zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern zu trennen, wurde kaum etwas unternommen, um Pflege- und Adoptiveltern dabei zu unterstützen, die Kinder in die neue Familie zu integrieren.[FN3 Rita Kesselring: Erste Familienbeziehungen auflösen und neue schaffen. In: Andrea Abraham, Sabine Bitter, Rita Kesselring (Hg.): Mutter unbekannt. Adoptionen aus Indien in den Kantonen Zürich und Thurgau, 1973–2002. Zürich 2024. S. 297–302.] Die befragten Paare berichteten von einer hohen Belastung, die teilweise bis heute andauert. Sie stellten fest, dass die Institutionen im Schweizer Bildungs- und Gesundheitswesen oft nicht in der Lage waren, angemessen auf die spezifischen Erfahrungen und Bedürfnisse der Kinder zu reagieren. Psychische Probleme und gesundheitliche Beschwerden halten bei manchen Adoptierten bis heute an.[FN4 Andrea Abraham, Sabine Bitter, Nadine Gautschi, Sarah Ineichen, Rita Kesselring: Adoption als einschneidende Erfahrung mit gesundheitlichen Folgen. Ein Gespräch. In: Andrea Abraham, Sabine Bitter, Rita Kesselring (Hg.): Mutter unbekannt. Adoptionen aus Indien in den Kantonen Zürich und Thurgau, 1973–2002. Zürich 2024, S. 268, 270, 272–273.]

Quellen / Literatur